„Fußnote“: Immobilienwerte – Die Kirche im Dorf lassen

Die Kurse vieler Immobilienwerte leiden unter der Zinswende. Doch muss die Rückkehr zum Normalzustand per se negativ sein? Die Zukunft der Immobilienbranche sieht besser aus, als manche Unkenrufe glauben machen wollen. Es gilt digitaler zu werden und die internen Kalkulationen anzupassen. Dabei wird es Gewinner und Verlierer geben.

Immobilien tangieren uns alle. Jeder gesellschaftliche Bereich ist mittelbar oder unmittelbar betroffen, jeder hat seine subjektiven Erfahrungen, Beobachtungen und Einschätzungen. Kaum eine Asset-Klasse wird deshalb aktuell so heiß diskutiert wie der Immobilienmarkt. Das gilt umso mehr nach der Rezession im vierten Quartal 2022 und dem erneuten Zinsanstieg der Europäischen Zentralbank (EZB) Anfang Mai. Um einen Viertel-Prozentpunkt auf 3,75 Prozent haben die Währungshüter den Leitzins angehoben. Es ist der siebte Zinsschritt in Folge, seit Juli 2022. Die typische „German Angst“ geht um, selten haben wir so starke Diskussionen und so viel Unsicherheit erlebt, wie im letzten Halbjahr im Immobilienbereich.

Doch was ist eigentlich passiert? Wir haben wieder einen Zustand erreicht, wo Geld (wie alles andere) etwas kostet. Und zwar umso mehr, je länger es verliehen wird. In den letzten 10 Jahren haben wir dies praktisch ausgeblendet und verlernt damit umzugehen. Wann immer möglich ersetzte Fremdkapital Eigenkapital und Immobilien(projekte) wurden faktisch zu Nullkonditionen und Beleihungsausläufen zu 100% und mit Nebenkosten sogar darüber hinaus fremdfinanziert. Der Leverage-Effekt befeuerte den gesamten Immobilienmarkt. Die Preise an den begehrten Top 5-Standorten und zeitverzögert in den restlichen Lagen, schraubten sich wie eine Spirale nach oben. Waren früher Renditen von rd. 6% für Immobilienobjekte die untere Benchmark, so sank diese im Hype auf teilweise nur noch 0,5% im Einkauf.

Früher war weniger Schnappatmung

Muss der Immobilienmarkt bei steigenden Zinsen jetzt also zwangsläufig einbrechen? Nun, ich bin Ende der 90er Jahre in einem Zinsumfeld von 6-8% am mittleren und langen Ende beruflich groß geworden. Sogar eine Zinsinversion mit 8-8,5% am kurzen Ende war kurze Zeit angesagt. War dies ein Hemmschuh für den damaligen Immobilienbereich? Nein, man lebte einfach damit und richtete seine internen Kalkulationen darauf aus. So waren Finanzierungen von +35 Jahren die Regel, bei häufig nur 1% Tilgung. Auch die finanzierenden Banken fuhren ihre Risikopolitik unter diesen Gegebenheiten mit großer Weitsicht. Als die Zinsen zu sinken begannen, bestanden übrigens viele, meist regionale, Banken einfach darauf, die Tilgungsbedingungen nach oben zu setzen. Vermutlich würde dies in unserem aktuellen Sentiment Schnappatmung hervorrufen.

Natürlich wurde ein Teil dessen, was die Zinsen in den 90ern an Kapitalaufwendungen verschlangen, damals durch weniger stark ansteigende bzw. seitwärts laufende Boden- und Quadratmeterpreise kompensiert. Ähnliches dürfte auch jetzt passieren. Die Bodenpreise und Verkaufspreise werden seitwärts gehen und die Fremdkapitaltilgung wird sich verschieben. Viele Investoren und Emittenten haben bereits über Jahre 3-6% Tilgung per anno hinter sich, ergo sollte sich deren Beleihungsauslauf im Gesamtportfolio (LTV) deutlich verringert haben. Reduzierte auslaufende Finanzierungen können mit dem gleichen Gesamtfinanzierungsaufwand prolongiert werden.

Technologie als Mörtel

Ich sehe also eine Verschiebung zum Szenario der früher praktizierten Finanzierungsausläufe wiederkommen. Aufgrund der immensen geschaffenen Geldmengen natürlich nicht auf dem gleichen hohen Zinsniveau. Was bedeutet das nun aber für die Immobilienemittenten am Anleihemarkt? Hier spielen Investoren, Entwicklern und Bestandshaltern die technologischen Quantensprünge der letzten Jahre, zusätzlich befeuert durch Corona, in die Karten. Ganze Prozesse und Gewerke können deutlich verschlankt werden, was die Kapitalbindung reduziert und vielfach auch die Personalaufwendungen.

Zudem sind im Nachhaltigkeitsbereich Unmengen von staatlichen Investitionstöpfen entstanden, welche als Fördermittel in das Eigenkapital gebucht werden können. So sind die energetischen Sanierungen am Ende für alle eine Win-Win-Situation. Für Mieter geht mit der Modernisierung im besten Fall einfach ein Shift von weniger Warmmiete zu mehr Kaltmiete einher und für die Immobilienbesitzer steigen dadurch Cashflow und Renditen. Kein Wunder, dass viele früher vernachlässigte Wohnviertelentwicklungen (teils ganze Stadtteile) gerade die Pace übernehmen. Im gewerblichen Bereich spielt darüber hinaus die Indexierung von Mietverträgen eine große Rolle. Im Wohnbereich sind in den letzten Jahren die durchschnittlichen Mietpreistabellen gestiegen, was jetzt bei Mieterwechsel Spielräume eröffnet. 

Gewinner und Verlierer

Die Zukunft der Immobilienbranche sieht also besser aus, als manche Unkenrufe glauben machen wollen. Ja, es wird eine Marktbereinigung geben. Aber zum einen ist diese schon längst im Gange und zum anderen pendelt sich vieles einfach nur auf den gesunden Normalzustand ein. Wie immer geht eine solche Entwicklung einher mit Chancen und Risiken. Zu den Verlierern werden die reinen Projektentwickler und Bauträger zählen, die es schwer haben, Anschlussfinanzierungen zu bekommen. Zudem verlieren teuer gekaufte „Vorratsflächen“ an Wert. Auch für Bestandshalter in reinen Bürostandorten an den Rändern einer Großstadt sind Vermietung und Finanzierung schwieriger geworden. Zumal die Ansprüche der Mieter in Home-Office-Zeiten zugenommen haben. Weniger Fläche, dafür mehr Qualität soll es sein (ÖPNV-Anschluss und Aufenthaltsqualität), für den gleichen Mietpreis.

Gleichzeitig gibt es im Moment aber auch ungewöhnlich große Chancen bei Anleihen von qualitativ hochwertigen Immobilienemittenten. Das ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass derzeit vielerorts der „Risk-off“-Zustand regiert. Zudem mussten einige größere Investmentgesellschaften sich aufgrund von Mittelrückflüssen in ihren Fonds von Immobilienanleihen trennen. Da das Kaufinteresse parallel dazu noch relativ überschaubar ist, entstehen Einstiegsmöglichkeiten. Wer die richtigen Check Points in der Risikobewertung der einzelnen Emittenten setzt, findet am Markt zukunftssichere und renditestarke Immobiliengesellschaften.

Dass Stimmung und Fakten nicht immer im Einklang stehen, zeigt sich auch beim Blick auf die jüngsten Konjunkturdaten. In Folge der Entspannung bei den Lieferketten präsentierte sich die Industrieproduktion im ersten Quartal 2023 deutlich besser als erwartet. Sogar die Bauproduktion legte zur Überraschung Vieler sichtbar zu. Das dürfte sich auch auf die Investitionsentscheidungen im Immobilienbereich durchschlagen. 

Markus Knoss, BankM AG

Markus Knoss ist zugelassener Börsenhändler und Certified Investor Relations Officer und verfügt über jahrelange Erfahrung in verschiedenen leitenden Positionen im Aktienhandel, Salestrading und Portfoliomanagement. Der ausgewiesene Experte für Nebenwerte im deutschsprachigen Raum ist seit 2013 für die BankM AG tätig und verantwortlich für den Bereich Business Development DACH.

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