Die Globalisierung im Rückwärtsgang – gut für die Risikostreuung, aber gefährlich für die Finanzmärkte

„Das Globalisierungspendel schwingt zurück – aber nicht erst seit dem Beginn der Coronakrise, sondern schon seit mehr als einer Dekade. Einen eindrücklichen Beweis liefert die Entwicklung ausländischer Direktinvestitionen weltweit: Diese sind seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2007 um 60% zurückgegangen. Bei grenzüberschreitenden Finanzströmen sieht es ähnlich aus.

Der unerwartete Pandemie-Ausbruch hat diese Entwicklung beschleunigt. Als Reaktion auf die aktuelle Gesundheits- und Wirtschaftskrise überdenken viele Länder ihre Strategien hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Vernetzung, ihrer Autonomie in strategisch bedeutenden Branchen oder bei der Versorgung mit Konsumgütern – und verstärken so den Trend zur Deglobalisierung. Das betrifft zum Beispiel den Technologie- und den Gesundheitssektor. Das Fehlen eines führenden europäischen Tech-Unternehmens auf globaler Ebene könnte Europa zum Beispiel dazu veranlassen, defensiver zu werden und die Vorschriften gegenüber ausländischen Unternehmen und Ländern zu verschärfen. Und auch die USA haben jüngst mehrere Maßnahmen ergriffen und Fördermittel freigesetzt, um die heimischen Produktionskapazitäten im Gesundheitssektor zu erhöhen, und damit eine weitere Linie der Konfrontation mit China geschaffen.

Das ist jedoch ein Teufelskreis, denn Handelsbeschränkungen bringen weitere Handelsbeschränkungen von anderen Partnern mit sich. Zwar besteht ein Konsens darüber, dass die Globalisierung ein hohes Maß an Wohlstand gebracht hat, wenn auch nicht gleichmäßig verteilt. Doch ohne starke Führung auf internationaler Ebene, die eine konstruktive und multilaterale Zusammenarbeit befürwortet, dürfte es schwer werden, die Folgen der Deglobalisierung umzukehren.

Mehr und mehr beobachten wir eine Polarisierung der Weltgemeinschaft zwischen zwei antagonistischen Machtzentren. Allerdings erwarten wir nicht, dass das Modell weltweiter Kooperation in Hunderte von autarken, isolationistischen Ländern zerbricht. Wahrscheinlicher ist die Entwicklung mehrerer regionaler Strukturen mit unterschiedlicher Machtverteilung, wie etwa zwischen den USA und seinen Nachbarländern Kanada und Mexiko (USMCA), in der asiatisch-pazifischen Region (RCEP) oder im transatlantischen Handelsabkommen CPTPP.

Moderate Globalisierung verbessert die Diversifikation – und erhöht die Risiken

Im Kapitalverkehr sieht die Lage anders aus. Dort ist von einer Deglobalisierung bislang nichts zu spüren – im Gegenteil, auch nach der großen Finanzkrise blieben die Finanzmärkte weltweit stark integriert. Mit einer beschleunigten Rückkehr vieler Länder zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit könnte sich dies jedoch ändern. Eine finanzielle Deglobalisierung hätte nicht nur langfristig große Auswirkungen, sondern würde auch das Marktverhalten in Krisenzeiten beeinflussen – mit wichtigen Konsequenzen für Anleger, die nach Diversifizierungsmöglichkeiten suchen.

Per Definition werden die Korrelationen innerhalb der Anlageklassen und zwischen geografischen Regionen in der Globalisierung generell zunehmen. In Finanzkrisen ist allerdings häufig zu beobachten, dass die Korrelationen zwischen einzelnen Märkten deutlich ansteigen, was durch die Analyse der Fundamentaldaten nicht mehr erklärt werden kann. Dieses Phänomen der „Ansteckung“ – englisch „contagion“ – ist für Anleger sehr relevant, denn sie wollen typischerweise von einer Streuung ihrer Geldanlage auf unterschiedliche Risiken profitieren. Wenn eine Ansteckung in Krisenzeiten diese Diversifizierung außer Kraft setzt, werden Investoren, die ohnehin schon mit niedrigen Renditen leben müssen, noch schlechter gestellt.

Die Globalisierung der Finanzmärkte ist allerdings kein linearer oder unumkehrbarer Prozess. Historisch gesehen gab es im 19. und 20. Jahrhundert Phasen, in denen die internationale Kapitalmarktintegration unterschiedlich stark ausgeprägt war, zum Beispiel während des Goldstandards oder im Bretton-Woods-System. Wir haben untersucht, wie sich der Grad der finanziellen Globalisierung auf die internationale Ansteckungsgefahr der Börsen auswirkt und dabei die Aktienmarktrenditen zwischen 1880 und 2014 in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Großbritannien analysiert.

Das Ergebnis: Die geringste Ansteckungsgefahr gab es während ausgeprägter Deglobalisierung und Kapitalverkehrskontrollen und während der intensivsten finanziellen Globalisierungsphase, also der Zeit seit 1971. Das Ansteckungsrisiko steigt allerdings für eine „Zwischensituation“ wie im Tiefpunkt einer U-Kurve mit moderater Globalisierung und mittlerer Integration der Aktienmärkte. Das war während des Goldstandards der Fall, könnte aber auch das Ergebnis der aktuellen Entwicklung sein. Dann sollten sich Anleger darauf einstellen, dass die Korrelationen der Renditen in ruhigen Zeiten geringer ausfallen werden, wodurch die Diversifizierungsvorteile potenziell verbessert werden. In Krisenphasen würden diese allerdings aufgrund der zunehmenden finanziellen Ansteckung stärker zunehmen als wir es zuletzt gewohnt waren.“

Quelleninformationen und weitere Informationen finden Sie in den aktuellen Amundi Expert Talk #8 und im Amundi Research Center.

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