Vom Hörsaal an den Laptop

Studieren in Zeiten von Corona: Funktioniert das? Diese Frage haben sich rund 6.000 Studierende, Professoren, Lehrbeauftrage und Mitarbeitende an der Hochschule Aalen wohl auch gestellt. Knapp die Hälfte des ersten Online-Semesters in der Geschichte der Hochschule ist um, die Abläufe haben sich eingespielt, die Systeme laufen stabil und die Hörsäle bleiben leer. Doch während systemseitig alles funktioniert, fehlt den Studierenden und Lehrenden die persönliche Komponente im Studium. Eine neue Erfahrung für alle.

Im Juni herrscht normalerweise Hochbetrieb an der Hochschule Aalen. Studierende aller Fachrichtungen bevölkern den Campus und lernen in Hörsälen, Laboren und Seminarräumen für ihre berufliche Zukunft. Doch dieses Semester ist das Bild ein anderes: Hörsäle bleiben leer, auf dem Rasen lernt niemand in der Sonne und die Kaffeemaschinen in der Cafeteria halten Dornröschenschlaf. Das bedeutet jedoch nicht, dass alles ruht. Die Vorlesungen sind gestartet und laufen seit dem 20. April, nur dieses Semester eben zum ersten Mal komplett online. „Bisher gab es 14.473 Meetings über das Videokonferenz-Tool Zoom“, berichtet Dr. Martin Franzen, Leiter des Canvas-Kernteams an der Hochschule Aalen. Das Tool wurde extra für das digitale Semester angeschafft und in kürzester Zeit vom Canvas-Kernteam, das die bereits bestehende Online-Lernplattform „Canvas“ betreut, und der IT-Abteilung in die bestehenden Strukturen eingebunden. Die Meetings über Zoom ersetzen momentan die Präsenz-Vorlesungen. Hätte man alle Vorlesungen, die bisher stattfanden, besuchen wollen, hätte man etwas mehr als 690 Tage am Rechner verbringen müssen. Und eine Rückkehr zum Präsenzbetrieb mit Vorlesungen in Hörsälen ist momentan noch nicht in Sicht. „Wir stellen uns darauf ein, dass das Sommersemester 2020 weitgehend digital stattfinden wird und auch die Prüfungen zu einem großen Teil über Online-Tools erfolgen müssen“, erklärt Rektor Prof. Dr. Gerhard Schneider. „Das ist eine Herausforderung für alle.“

Anstrengend, aber lohnenswert

Der Online-Lehrbetrieb ist auch für die Lehrenden eine völlig neue Situation. „Wir als Hochschule haben in drei Wochen mehr geschafft, als wir ohne diese besondere Situation sonst in drei Jahren auf die Beine gestellt hätten. Ich glaube, die Hochschule ist im Bereich Online-Lehre ein Vorreiter im Land“, findet Prof. Dr. Lothar Kallien vom Gießereilabor. Besonders imponiert habe ihm, mit wie viel Engagement das Rektorat die Umstellung auf die Online-Lehre vorangetrieben habe. Dennoch sei es etwas Anderes, als im Hörsaal zu unterrichten. „Es ist definitiv anstrengender, weil man sich anders konzentrieren muss“, erklärt Kallien. Im Vorlesungssaal entstünden natürliche Pausen durch Nachfragen oder äußere Einflüsse, in denen Lehrende die Stoffvermittlung kurz unterbrechen. Im Online-Betrieb fallen diese weitestgehend weg, der Stoff werde kompakter vermittelt. Auch Prof. Dr. Martina Hofmann aus dem Studiengang Elektrotechnik musste sich umstellen. „Wenn alle Studierenden die Kameras und Mikrofone ausgeschaltet haben, komme ich mir zwar manchmal vor, als rede ich mit der Wand, aber die Online-Lehre hat auch gute Seiten“, berichtet sie. Durch die relative Anonymität in der Webkonferenz trauten sich ihre Studierenden öfter Fragen zu stellen. „Wir können unsere Inhalte auch durch unterschiedliche Medien vermitteln und den Unterricht mitschneiden“, erklärt sie weiter. Damit könnten Lehrende in Zukunft Lücken in Vorlesungen schließen. Prof. Dr. Marcus Liebschner, Dekan der Fakultät Elektronik und Informatik, steht der Online-Lehre ebenfalls positiv gegenüber: „Ich empfinde es als Abenteuer, etwas so kurzfristig auf die Beine zu stellen. Es ist eine richtig spannende Zeit.“

Die menschliche Komponente fehlt

Auch für die Studierenden der Hochschule ist die Umstellung auf Online-Lehre eine ganz neue Erfahrung. Hannah Stelzer studiert Wirtschaftspsychologie im vierten Semester und hält Online-Vorlesungen in der aktuellen Situation für eine gute Alternative. „Die Schwierigkeit besteht eher darin, vor dem Laptop konzentriert und motiviert zu bleiben“, sagt sie. „Auch die Gruppenarbeiten gestalten sich über Zoom ganz anders, als wir es bisher gewohnt waren“, ergänzt ihre Kommilitonin Alina Reif. Philip Lankes studiert User Experience im dritten Semester und findet, dass die Online-Lehre nach ein paar kleinen Startschwierigkeiten super läuft: „Die meisten Dozenten geben sich extrem Mühe, nehmen das Feedback der Studierenden ernst und sind sehr hilfsbereit“, beschreibt er die Atmosphäre auf dem Online-Campus. Doch auch wenn die Vorlesungen reibungslos laufen, sind sich die drei Studierenden über eines einig: Die menschliche Komponente fehlt. „Gerade jetzt im Sommersemester vermisse ich meine Kommilitonen sehr“, gesteht Alina Reif und ergänzt: „Normalerweise hat man sich für nach den Vorlesungen verabredet.“ Auch Hannah Stelzer sieht das ähnlich: „Letztendlich zeigen die Online-Vorlesungen, dass persönlicher Kontakt, Freunde und das Studentenleben einen wichtigen Teil des Studiums ausmachen.“ Philip Lankes hat dabei noch einen ganz anderen Gedanken: „Ich habe das Gefühl, dass gerade den Erstsemestern der Kontakt zu höheren Semestern oder den Dozenten fehlt.“ Deshalb engagiert sich der Student auch als Digital-Learning-Coach und hilft einem Ersti, sich an der Hochschule Aalen einzuleben – online, versteht sich.

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