EU Deal – oder auch: Wer sich ziert, spart am Meisten.

Nach 90 Stunden war es endlich soweit: Mit einem kurzen Tweet verkündete  Ratspräsident Charles Michel, dass es einen Deal in den Verhandlungen um ein EU-Hilfsprogramm gibt. Ein wenig erinnerte es an die Sixtinische Kapelle aus der weißer Rauch emportritt und verkündet wird: „Habemus Papam!“ Die Lösung des stundenlangen Deadlocks: Ein Hinterzimmerdeal, der den Verweigerern der von Merkel und Macron gewünschten Geldgeschenke an die von der Pandemie gebeutelten Länder (Italien, Spanien und Portugal) viel Geld einspart. Kurzum: Die Zustimmung einiger Länder wurde erkauft, durch Beitragsrabatte und höhere Einbehaltung der EU Einfuhrzölle. Dies ist insbesondere relevant für die Länder, die große internationale Häfen zu ihrem Gebiet zählen dürfen. Der Internationale Wirtschaftssenat begrüßt, dass es eine Einigung gibt, jedoch „stellt sich mir die Frage: Wer trägt die entstandenen und in Zukunft entstehenden Kosten?“ fragt Gründer und Generalsekretär, Peter Nußbaum. Zusätzlich zu den Beitragsrabatten wurde beschlossen, dass die EU erstmals im großen Maße gemeinsame Schulden, in Form von Anleihen zugunsten von Mitgliedsländern aufnehmen will. Hier sehen Ökonomen das große Problem einer Wiederholung der Geschichte und die Gefahr einer Hyperinflation. Bereits im April dieses Jahres sagte der ehemalige Ifo-Präsident Prof. Dr. Hans-Werner Sinn auf die Frage, ob der Euro die Krise überleben wird: „Ich hoffe es, aber nicht um den Preis einer Schuldengemeinschaft. Das ist er nicht wert.“ Es bleibt abzuwarten, ob es soweit kommt, dank der heute Morgen entschiedenen Maßnahmen. Für den Moment wollen die Entscheidungsträger in Brüssel nicht über die Schattenseiten des Deals nachdenken. Sie alle können sich als Gewinner des Deals darstellen – die Finanzierung des Rettungsplans ist das Problem der nächsten Jahre (vielleicht des nächsten Kanzlers, Präsidenten etc.).

IWS-Präsidiumsmitglied und Leiter des Prognosezentrums am Institut für Weltwirtschaft Kiel, Prof. Dr. Stefan Kooths äußerte sich ebenfalls bereits zu dem Deal: „Der sogenannte EU-Wiederaufbauplan ist in erster Linie das Eingeständnis, dass wichtige Mitgliedsländer den uneingeschränkten Zugang zum freien Kapitalmarkt verloren haben. Das zeigt sich auch daran, dass die Ratings für Staatsanleihen nur noch Bestand haben, weil das Eurosystem mit immer neuen Anleihekaufprogrammen massive monetäre Staatsfinanzierung betreibt.

Darüber hinaus ist unklar, welchen stabilisierungspolitischen Mehrwert das Agieren auf EU-Ebene haben kann. Ein Koordinationsbedarf – die Kernkompetenz für die EU-Ebene – hinsichtlich dessen, was jetzt wirtschaftspolitisch zu tun ist, besteht jedenfalls nicht in dem Maße, dass dafür 750 Milliarden Euro bewegt werden müssten. Stattdessen sollte es jetzt darum gehen, protektionistischen Tendenzen zu begegnen – das wäre eine prominente Rolle für die EU-Kommission. Stattdessen werden immer mehr Stimmen laut, die offen für eine neue Industriepolitik eintreten und unter dem neumodischen Begriff der „ökonomischen Souveränität“ alte merkantilistische Rezepte auf Wiedervorlage setzen.

Die Gefahr ist groß, dass die bereits in einigen Mitgliedsländern ausgereizte Verschuldungspolitik nun auf EU-Ebene fortgeführt wird und damit eine Etage höher in die nächste Runde geht. Im Zuge der nun geplanten Maßnahmen wird das Verschuldungsverbot für die EU erkennbar aufgeweicht. Erneut werden Regeln, auf die man sich einst verständigt hat, ad hoc aufgeweicht. So kann sich auf Dauer kein stabiler Ordnungsrahmen herausbilden. Die eigentlichen Probleme, gerade in Italien, sind hausgemacht und durch EU-Finanzspritzen nicht zu lösen. Insgesamt steht zu befürchten, dass die notwendigen Strukturreformen nicht beschleunigt, sondern weiter verzögert werden – allen Beteuerungen um Konditionalität der Hilfsgelder zum Trotz.

Der sich nun abzeichnende nächste Schritt in eine Transferunion schwächt nicht nur die EU als ganze, sie ist auch nicht im langfristigen Interesse der Länder, die sich auf der Netto-Empfängerseite wähnen. Denn Subventionen machen abhängig. Solange sie sprudeln, versiegen die Kräfte, mit denen man sich selbst wirtschaftlich stärker aufstellen kann. Das ist auf Unternehmensebene nicht anders als bei Staaten. Auch der Länderfinanzausgleich in Deutschland kennt seit Jahrzehnten dieselben Kostgänger. Hilfe zur Selbsthilfe sieht anders aus.“

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